Es geht immer schneller auf Weihnachten zu. Marc wartet auf seine letzten Online-Bestellungen. Die Kartons stapeln sich schon jetzt. Wann kommt endlich das letzte Geschenk für seine Eltern an? Marc ärgert sich tierisch. Auch die Planung des Heiligabends wird andauernd umgeschmissen. Mit den Eltern in die Kirche? Okay, das fällt wohl aus. Gut, dann kommt Marc eben direkt zu seinen Eltern. Aber dann wollen seine Eltern womöglich doch lieber alleine feiern. Oder dann wieder nicht? Dann will Marcs Schwester alleine mit ihrem Partner feiern. Aber vielleicht später dazu stoßen. Oder vielleicht lieber nicht? Dieses Jahr ist alles so anders. Alles ist so kompliziert. Wie soll man sich da richtig auf Weihnachten freuen?

Die vergangene Woche war sehr stressig für Marc. Vom verbleibenden Jahr ist nicht mehr viel übrig und seine letzten Projekte müssen noch abgeschlossen werden. Und Homeoffice birgt auch seine Tücken mit abstürzender Technik und schlechter Konferenzverbindung.

Endlich Wochenende. Es ist wieder Sonntag und Marc macht sich auf den Weg zum Treffpunkt mit Alfred. Was soll er ihm über die heutige Welt erzählen? Marc versucht, seine widersprüchlichen Gedanken zu sortieren.

Dieses Mal wartet Alfred schon auf der Bank auf ihn. „Da bist du ja, ich bin schon ganz gespannt! Meine Enkel wollen mir ein Smartphone zu Weihnachten schenken und ich weiß gar nicht, was ich damit machen kann. Und überhaupt verstehe ich gar nicht, was die jungen Leute heutzutage hinter ihren Computern und Telefonen so treiben.“

„Eigentlich alles“, antwortet Marc. „Morgens weckt mich der Wecker vom Smartphone. Dann lese ich beim Kaffeetrinken die Zeitung auf dem Smartphone. Ich checke meine Mails, meine Nachrichten und die sozialen Medien. Danach geht es ins Homeoffice an den PC. Ich arbeite komplett digital, alle Treffen finden per Video-Telefonie statt.“

Alfred runzelt die Stirn. „Das klingt ja alles sehr unpersönlich. Gehen die jungen Leute denn überhaupt noch vor die Tür?“

„Zurzeit natürlich eher nicht.“ Marc fängt an zu grübeln. Eigentlich hat er sich schon immer alles bequem liefern lassen. Alles, was es so gab und was er brauchte, bestellte er gern online. Essen, Kleidung, Technik, Möbel, sogar die Online-Apotheke nutzte er.

„Bei mir stapeln sich die Kartons und die Verpackungen von den Lieferdiensten. Sowohl mein Essen als auch meine Weihnachtsgeschenke bekomme ich nach Hause geliefert.“

Alfred seufzt: „Heutzutage ist alles anders. Auch die Straßen sehen anders aus. Überall fliegen die Verpackungen für Essen zum Mitnehmen durch die Gegend. Hat denn keiner mehr Zeit, in Ruhe zu essen? Warum muss der Müll überall in der Stadt herumfliegen und unsere Umwelt verschmutzen? Früher habe ich die Weihnachtsgeschenke für unsere Kinder noch selbst aus Holz geschnitzt und lackiert. Die existieren heute noch, die Enkelkinder spielen immer noch gern mit ihnen.“

Wie es der Zufall so will, weht der Wind dem ungleichen Paar einen leeren To-go-Becher vor die Füße. Marc erschrickt, denn mit krakeliger Schrift ist sein Name auf dem Becher zu erkennen, der bei der Bestellung draufgeschrieben wurde. Das war der Becher von vor zwei Wochen, den er einfach weggeworfen hatte, als sie sich das erste Mal trafen.

Alfred seufzt. „Weißt du, meine Kinder sind genau so alt wie du. Aber sie nehmen sich keine Zeit mehr, alles muss schnell gehen und ich komme gar nicht mehr mit ihnen ins Gespräch. Ich weiß auch gar nicht mehr, wie ich an sie herankommen, sie erreichen kann. Deshalb freue mich so, dass wenigstens du dir die Zeit nimmst.“

Marc ist ganz gerührt. „Gerne! Ich gehe tatsächlich kaum noch vor die Tür und spreche mit den Menschen. Deshalb ist das hier für mich eine ganz besondere Erfahrung.“

„Tja, das ist es für mich auch.“ Schulterzuckend lächeln sich Marc und Alfred hinter ihren Masken an.

„Ich muss los, lass uns nächste Woche weitersprechen, Marc. Ich bringe meine Thermoskanne mit Winterpunsch mit, dann ist es noch etwas netter, so kurz vorm Fest.“

„Selbe Zeit, selber Ort“. Mit diesen Worten verabschiedet sich das ungleiche Paar und jeder geht wieder seiner Wege. Bis zur kommenden Woche, dem vierten Adventssonntag…

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